glitterballshooting

04. Dezember 2007 ab 19 Uhr
Künstlerverein Malkasten, Düsseldorf

20 Tage vor Heiligabend, wenn der Vorweihnachtswahn seinen Höhepunkt erreicht, brauchen die Menschen Ruhe und Rast.

Oder sportliche Betätigung und reichlich Punsch..

glitterballshooting duesseldorf 2007

Am 4.12. wird ab 19 Uhr das Feuer auf einen festlich dekorierten Weihnachtsbaum eröffnet. (Luftgewehr)

Ziele sind die glitzernden Kugeln.

Punsch und Suppe werden angeboten.

www.glitterballshooting.com

malkastenKünstlerverein Malkasten
Jacobistraße 6a
40211 Düsseldorf
www.malkasten.org


Zum glitterballshooting erscheint eine Publikation im Salon Verlag
Hannes Malte Mahlers Glitterballshooting
Salon Verlag, 2007, ISBN 978-3-89770-297-4


glitterballshooting duesseldorf 2007

glitterballshooting duesseldorf 2007

glitterballshooting duesseldorf 2007

glitterballshooting duesseldorf 2007

glitterballshooting duesseldorf 2007



Weihnachten als
Arena des Privaten?

Die Szene ist nicht unbekannt: Es ist Weihnachten. Ein elegant gekleideter Mann legt sich mit einem hochprozentigen Drink in der Hand gelangweilt auf ein Sofa und fängt an, äußerst amüsiert, mit einer Luftpistole auf Weihnachtsbaumkugeln zu schießen, die ihm direkt gegenüber im Tannenbaum hängen. Alleine im Raum steigert er sich während der Aktion in einen regelrechten Rausch.

Die Szene stammt aus der amerikanischen Krimikomödie Noch ein Dünner Mann mit Myrna Loy und William Powel in den Hauptrollen. Beide spielen das Detektivpärchen Nora und Nick Charles, die in insgesamt 6 Filmen auf Verbrecherjagd gehen. Was 1939 die Kinobesucher amüsierte, stößt heute häufig auf Unverständnis. Das musste unlängst auch Hannes Malte Mahler mit seiner alle Jahre wieder kehrenden Aktion, dem glitterballshooting feststellen. Während Nick Charles sich im Film spontan zum “Angriff" auf die Weihnachtsbaumkugeln entschloss, organisiert der Hannoveraner Künstler diese Schießaktion mit einem Luftgewehr für jedermann. “Sind die GAGA im Museum?", titelte die Bild-Zeitung nach der Aktion im Museum Weserburg in Bremen am 22. Dezember 2006 und ließ einen Pfarrer zu Wort kommen, der sich echauffierte, wie man denn derart mit christlichen Werten umgehen könne.

Besagter Geistlicher vergaß dabei, dass der Weihnachtsbaum mit samt seinem Schmuck nicht zu den ursprünglichen Attributen des Christnacht-Festes gehört. Auch der Weihnachtsmann - von Coca Cola erfunden -, der während der Veranstaltung am Boden stehend ebenfalls zur Zielscheibe avancierte, wurde aus rein kommerziellen Gesichtspunkten Weihnachten einverleibt.

Warum also diese Aufregung?

Das Schießen mit einem Gewehr habe etwas Martialisches bzw. Militärisches an sich, lauten die Stimmen der Gegner. Die Aktion wird nun aber mit einem Luftgewehr durchgeführt, dass als Sportgerät sogar bei den Olympischen Spielen, dem Ursprung nach zur Völkerverständigung initiiert, anerkannt ist. Das glitterballshooting weist also demnach vielmehr eine lineare Verbindung zu Schießbuden auf Jahrmärkten auf und schafft so die durchaus kritisch zu betrachtende Nähe zwischen Weihnachtsrummel und Kirmesrummel. Auch aus der Künstlerschaft kam im Vorfeld der Durchführung des glitterballshooting im Künstlerverein Malkasten in Düsseldorf (4. Dezember 2007) diese vehement scharfe Kritik.

Man wolle die Veranstaltung boykottieren, denn sie wäre für alle Kinder eine Zumutung und würde sie jeglicher Illusion berauben; Weihnachten sei doch etwas sehr privates und intimes. Diese und ähnliche Aussagen stammen von vermeintlichen “U-Boot"-Christen, die nur zu bestimmten Jahreszeiten auftauchen, um sich zu erinnern: “Da war doch was ...?" Sie verdeutlichen, dass die marktorientierte und kommerzielle Ausrichtung des Weihnachtsfestes Wirkung zeigt, dass Weihnachten als willkommene Abwechslung dient, alle Probleme vergessen zu machen, und dazu ermutigt, sich in eine nicht vorhandene heile Welt zurückzuziehen. Die Hoffnung dies erreichen zu können, wird jedoch in den alljährlichen Familienstreitigkeiten während oder nach Heiligabend zunichte gemacht. Nach tagelangem, vorgegaukeltem Frieden folgt das jähe Ende. Die inhaltliche Kritik von Künstlerkollegen lautet vor allem, dass es Mahler an Originalität fehle. Derartige gesellschaftskritische Aktionen gerade im Hinblick auf Weihnachten hätten bereits zahlreiche Fluxus-Künstler geleistet. Dem wäre zu entgegnen, dass jede Zeit, und dafür gibt es nicht nur in der Kunstgeschichte zahlreiche Beispiele, eigene Voraussetzungen und Tatsachen mit sich bringt, die nie vollkommen identisch sind mit Gegebenheiten der Vergangenheit.

Insofern muss Kritik, wenn der Sachverhalt über Jahrzehnte gleich geblieben ist, erneuert werden, denn in jeder Zeit verändert sich die Reflektion am kritisierten Gegenstand. Dem Vorwurf mangelnder Originalität muss entgegengehalten werden, dass dieser Begriff auf zweifache Weise verstanden werden kann: Er bedeutet sowohl Ursprünglichkeit, Authentizität im Schaffensakt, als auch ein einzigartiges, ungewöhnliches Ergebnis. Der Aspekt der Originalität, wenn er in der Gegenwartskunst überhaupt noch eine wichtige Rolle spielt, ist beim glitterballshooting also durchaus gewährleistet.

Doch welche wahren Gründe kann es geben, dass eine Aktion, wie das glitterballshooting von Mahler derartige Abwehrhaltungen hervorruft? Eine Erklärung könnte lauten, dass der sukzessive Rückzug auf familiale Wertmuster und traditionelle Rollenzuschreibungen, den unter anderem die rigorose Mediatisierung des Alltags mit sich brachte, das Private als politische Kategorie instrumentalisiert. Als solche schafft es Funktionsbereiche, die gesamtgesellschaftlich denen von Produktion und Konsumtion entsprechen. Ganz im Sinne frühbürgerlicher Fantasmen geht mit dieser Tatsache die Weigerung einher, die eigenen historischen Bedingungen mitzureflektieren. Die tatsächliche Kontrolle des Privaten durch marktorientierte Produktions- und Steuerungskapazitäten steht also der hegemonische und somit kontrollierende Anspruch des Privaten auf das Öffentliche entgegen. Das Private kann nicht als eine Form beschrieben werden, die ausschließlich dem Schutz der Familie, der Ausbildung empfindsamer Subjekte und der Reaktion vom harten Wirtschaftsleben vorbehalten ist, sondern als politische Fiktion, die sich als Projektionsfläche für verschiedene ideologische Optionen anbietet, sowohl konstruktiv, als auch antithetisch. Die Familie als zentrale Struktur ist Gegenstand, Ausgangspunkt und Austragungsort dieser Projektionen.

Mahlers glitterballshooting ist ein interaktives Projekt, dass einerseits sehr amüsant und kommunikativ ist, und andererseits einen diskursiven Rahmen öffnet. Unter Beteiligung des Publikums stellt es ein offenes System dar, in dem einige Parameter festgelegt werden, jedoch keine verbindliche Vorgabe zur Wahrnehmung gestellt wird. Und etwas vermittelt Hannes Malte Mahler dem aktiv Teilnehmenden oder auch nur passiv Beobachtenden des glitterballshooting alle Mal: “Die industriell perfekte Schönheit der Kugeln lebt von deren latenter Zerbrechlichkeit - ein perfekt geschmückter Tannenbaum kündet immer auch von der kurzen Zeit, für die er seinen Glanz verbreiten wird."

Oliver Zybok